Mia

Ein Wunder ist geschehen! Samira hat sich doch tatsächlich bei mir gemeldet. Und nicht nur bei mir, sondern auch bei Marie. Also, ihr müsst euch das jetzt nicht so denken, dass sie sich irgendwie entschuldigt hat, oder so, nein! Nöö, es war nur eine kurze SMS, sozusagen ein kleines Lebenszeichen, dass es sie überhaupt noch gibt. Und das allerbeste war, dass sie uns einfach nur geschrieben hat, ob wir eigentlich auch noch leben. Sie uns! Ob wir noch leben! Ich glaube, sie hat doch echt ein bisschen den... entschuldigt mich bitte… Arsch offen. Oh, genau an dieser Stelle bin ich sehr froh, dass ich diesen ganzen Blog ja anonym halte. Und natürlich keine richtigen Namen benutze, das würde alles in einer Katastrophe enden. Du hast über mich in deinem Blog gelästert, was bist du nur für eine Freundin, ich rede nie wieder mit dir! All diese Sachen. Ich kann es mir lebhaft vorstellen.

Au weia, ich habe gerade mit Schrecken festgestellt, dass ich schon in einem Monat meine erste Klausur schreiben werde! Das ist kein besonders schweres Fach, aber da ich ja noch überhaupt nicht weiß, was auf mich zukommt, bin ich jetzt schon total nervös. Das waren noch schöne Zeiten, dieses eine Jahr nach dem Abitur, wo ich einfach die ganze Zeit nur entspannt habe. Ich habe Sport gemacht, als Freibad gegangen, habe mich mit Freundin getroffen und Party gemacht. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass dieses ganze Leben schon ziemlich weit weg ist, weit weg und unwiederbringlich. Irgendwie macht mich das schon ein bisschen traurig, aber eigentlich wollte ich es auch nicht anders. Ich meine, ich wollte ja immer studieren und bin auch ziemlich ehrgeizig. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, habe ich in der Schule wirklich kaum etwas für meine Klausuren getan, und schon da habe ich bestimmt. Tja, da brauche ich mich ja jetzt nicht zu wundern!

Wow, jetzt bin ich schon zwei Monaten im Studium! Und irgendwie ist es ganz anders, als ich es mir davor vorgestellt hatte. Ich dachte immer, dass das alles so läuft wie in amerikanischen Filmen am College. Man hat seine große Clique, mit der man immer zusammen am Tisch sitzt, jeder versteht sich mit jedem und alle gehen zusammen feiern auf riesigen Hauspartys. Aber in Wirklichkeit ist es vielmehr so, dass man an der Uni total anonym ist. Natürlich hat man seine ein oder anderen Leute, mit denen man sich versteht. Aber meine einzige richtige Bezugsperson ist Sabrina. Und, was wirklich komisch ist, feiern geht bei uns niemand. Ich glaube, dass die Bachelorstudiengänge einfach überhaupt nicht mehr auf dieses klischeehafte Studentenleben ausgelegt sind. Ich bin jetzt schon total viel am lernen für die Klausuren... Süßes Leben, ade!

Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich wegen der Sache mit Samira machen soll. Sie ist ja wirklich eine meiner besten Freundinnen, und irgendwie finde ich es gerade unfassbar traurig, dass das alles auf einmal so plötzlich vorbei sein soll. Ich habe die ganze Sache auch schon Sabrina erzählt, der neuen Freundin aus meinem Studium. Sie meint, dass ich doch auf jeden Fall nochmal mit Samira reden sollte, und wenn ich ihr auch nur sage, dass ich sie vermisse. Vielleicht bricht das endlich einmal wieder das Eis zwischen uns. Natürlich weiß ich, dass Sabrina im Grunde recht hat, aber irgendwie kann ich dann nicht über meinen Schatten springen. Ich bin einfach so sauer und enttäuscht! Aber wenigstens hat diese Sache auch ein Gutes: nämlich verstehe ich mich einfach nur so gut mit Sabrina, das hätte ich niemals gedacht nach so kurzer Zeit!

Eigentlich hatten Marie, Samira und ich bei unserem Gespräch am Ende vereinbart, dass sie es einfach schaffen müssen, wieder viel mehr miteinander zu machen. Mal wieder ein Mädelsabend in Pyjama, oder mal zu dritt feiern gehen. Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht, und wenn wir zum Beispiel feiern waren, war immer Max dabei. Dann kann man sich ja auch nicht so wirklich entspannen, wenn die ganze Zeit ein Pärchen dabei ist, und Max einen so komisch beobachtet, sobald man mal ein bisschen ausgeflippter tanzt. Ich mag es auch generell nicht, mit Kirchen feiern zu gehen. Das liegt es noch nicht mal ein Samira und Max. Naja, was ich eigentlich erzählen wollte, war, dass natürlich überhaupt keine Änderung eingetreten ist. Ganz im Gegenteil, Samira meldet sich jetzt noch weniger als vorher, und schreibt noch nicht mal mehr SMS zurück, wahrscheinlich, weil sie total beleidigt ist...

Letzte Woche hatte ich das Gespräch mit Marie und Samira. Marie und ich haben uns ja fest vorgenommen, dass sie Samira einfach mal vor Augen führen müssen, wie sehr sie sich verändert hat durch Max. Natürlich wollten wir nicht wie eine Front auf sie zugehen, und sie total fertig machen, oder sowas. Deswegen haben wir versucht, es ihr so behutsam wie möglich beizubringen, was uns stört. Aber sie hat irgendwie total blöd reagiert, war komplett ignorant und hat alles abgestritten. Nein, noch besser: Sie hat sogar behauptet, dass in Wirklichkeit WIR uns verändert hätten, und dass wir ihr das Glück mit Max sowieso überhaupt nicht gönnen. Ich fand das so was von unfair von ihr, und ich musste echt an mich halten, um nicht total auf der Haut zu fahren. Marie ist ein Gott sei Dank ein bisschen diplomatischer als ich, und konnte die Eskalation noch gerade so umschiffen. Aber ich weiß, dass sie auch vor Wut gebebt haben muss!

Meine erste Uniwoche ist gerade am laufen, und bis jetzt finde ich es prima. Es gibt ja am Anfang immer diese Einführungswoche, und ich finde, dass ich in meinem Studiengang eigentlich ganz gut aufgehoben bin. Ich habe schon ein total nettes Mädchen kennen gelernt, Sabrina, und ich habe das Gefühl, dass wir total auf einer Wellenlänge sind. Was auch ziemlich cool ist, ist, dass ich einen ziemlich ähnlichen Vorlesungsplan wie Marie habe, was bedeutet, dass wir immer zusammen im Zug fahren können. Wir wohnen ja in so einem kleinen Kaff, da muss man schon noch eine halbe Stunde mit dem Regionalexpress fahren jeden Tag. Aber mit Marie macht das total Spaß, und außerdem ist der Regionalexpress viel entspannter als die Straßenbahn. Oder der Bus, der es natürlich die absolute Hölle! Bis jetzt hatte ich noch keine richtigen Vorlesungen, es wurde immer nur vorgestellt, was sie alles machen werden und so was. Aber ich lasse mich einfach mal überraschen.

Marie ist genauso genervt wie ich. Wir haben jetzt beschlossen, dass wir auf jeden Fall einmal ein ernstes Wort mit Samira reden müssen. Das kann doch nicht angehen, dass sich jemand nach nur drei Monaten Beziehung so komplett verändert! Bzw., eigentlich sind es ja gerade einmal zweieinhalb Monate. Uns ist auch aufgefallen, dass Samira auf einmal ganz andere Wörter benutzt, und sogar zum Beispiel Filme gut findet, die sie früher niemals geguckt hätte. Das sind alles nur Indizien dafür, dass sie sich komplett für Max verändert. Ehrlich gesagt habe ich noch nie verstanden, was Samira an Max gefunden hat. Nicht, dass er nicht irgendwie nett oder gut aussehen wäre, das tut er auf jeden Fall. Aber irgendwie habe ich immer das Gefühl gehabt, dass mit ihm irgendwas nicht stimmt. Dass es da irgendeinen Haken bei ihm gibt…

So, bevor ich mich jetzt weiter über irgendwelche Nebensächlichkeiten aufrege, erzähle ich euch lieber erst mal, wer ich überhaupt bin. Ich bin Mia, bin einen Tag vor Heiligabend 20 Jahre alt geworden und habe letztes Jahr mein Abitur gemacht. Tja, wie ihr auch schon wisst, ist meine Familie ziemlich, und da wir auch alle in einem kleinen Dorf zusammenwohnen, wird bei uns Familie ziemlich großgeschrieben. Besonders meine Eltern wegen da sehr großen Wert drauf, dass die Familie immer die erste Priorität sein muss. Mein Vater ist Pole, und in Polen ist es normal, dass die Familien alle ziemlich zahlreich sind und alle ständig große Feste feiern. Tja, zwar ist mein Vater auch schon die zweite Generation hier in Deutschland gewesen, aber das mit den Festen hat sich überhaupt nicht geändert! Aber das habe ich ja bereits erwähnt. Im April werde ich dann anfangen, Antlitz listig zu studieren. Darauf freue ich mich sehr, weil ich dann endlich mal wieder etwas zu tun habe!

Marie und ich können echt nur noch staunen. Marie, das ist meine andere beste Freundin. Samira, Marie und ich sind schon seit unzähligen Jahren eine eingeschworene Dreierclique. Ein richtig gutes Team. Irgendwie haben wir es immer geschafft, dass sich kein Junge in unsere Freundschaft hinein drängen konnte. Aber irgendwie haben Marie und ich das Gefühl, dass die Zeiten sich geändert haben. Samira redet auf einmal nur noch von Max, es gibt kein anderes Thema mehr für sie. Und ich glaube, dass sie auch selber überhaupt nicht auffällt! Genau das meine ich, seht ihr? Sie hat einen Freund, und schon sind wir Luft für Sie. Sie zieht auch ständig ihn vor, wenn es darum geht, eine Entscheidung für ein abendliches Treffen zu fällen. Da sind wir wohl nur noch zweite Wahl!

O.k., ich nehme alles zurück. Ich glaube, ich brauche doch einen Freund. Samira, meine eine beste Freundin, ist jetzt in einer Beziehung. Das hatte sich schon ziemlich lange so angebahnt, mit jemandem aus unserer alten Stufe. Wir haben ja 2011 Abitur gemacht, und diese Sache mit Max ging schon ziemlich lange. Aber Samira wollte niemals einen Freund aus der Stufe haben, und so hat sich das alles ein bisschen hingezogen. Dann wollte er mal nicht mehr, dann war sie sich nicht mehr so sicher, schließlich haben sie sich sogar ein bisschen aus den Augen verloren. Aber vor einem Monat haben wir uns alle beim Feiern wieder getroffen, und da war's sofort um Samira geschehen. Tja, sie ist jetzt total auf Wolke sieben!

Haha, oh Gott, habe mir gerade nochmal meinen Text von vor ein paar Tagen durchgelesen, und festgestellt, dass das ja schon ein bisschen verzweifelt rüber kommt! Hey, sollte das echt nicht klingen! Ich bin nicht auf der starren Suche nach einem Freund oder sowas. Ich meine, natürlich hätte ich gerne einen Freund. Auf jeden Fall. Aber ich finde auch immer diese Leute ganz schlimm, die sich dann nur noch über ihre Beziehung definieren. Oder Leute, die ihre Freude total vernachlässigen, weil sie dann einen neuen Freund haben. Sowas kann ich überhaupt nicht leiden, weil die Freunde für mich das allerwichtigste im Leben sind. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne meine Freunde machen sollte. Sie haben mir schon so oft aus der Patsche geholfen, immer zu mir gehalten, wenn es mir schlecht ging, und mit niemandem kann ich so sehr lachen wie mit meinen besten Freundinnen. Wozu braucht man da eigentlich ein Mann?

Was dieses Jahr echt krass war, waren die Geburtstagskarten. Ich habe so viele Geburtstagskarten bekommen, ich konnte sie fast nicht mehr zählen. Aber die meisten Geburtstagskarten waren dann gleichzeitig noch Weihnachtskarten und einer für die Familie bestimmt. Irgendwie freue ich mich immer total über Geburtstagskarten, weil ich finde, dass sie etwas sehr persönliches sind. Das ist nicht nur so eine blöde SMS, oder so was, sondern Geburtstagskarten, die muss man ja auch aussuchen und bestenfalls auch ein bisschen kreativ beschriften. Natürlich freue ich mich nicht über diese Geburtstagskarten, wo nur Herzlichen Glückwunsch! draufsteht, die können sich die Leute getrost sparen. Ich kann das überhaupt nicht verstehen, warum so viele meiner Freunde das Konzept von Geburtstagskarten überhaupt nicht anerkennen. Natürlich schreiben Sie mir welche, weil sie wissen, dass ich mich darüber freue, aber für die meisten ist das sowas Altbackenes. Ja, ich gebe es zu, ich bin auch jemand, der gerne Briefe schreibt! Sowieso bin ich allgemein ein ziemlich romantischer Typ, aber leider konnte ich noch nie wirklich meine ganze romantische Ader in eine Beziehung einfließen lassen. Tja Jungs, ich verspreche euch, ich würde euch auch immer Briefe und Geburtstagskarten schreiben!

Gott sei Dank ist dieser ganze Weihnachtsstress endlich wieder vorbei. Um genau zu sein, ist es nämlich bei mir nicht nur Weihnachtsstress, sondern auch Geburtstagsstress kommt dazu. Natürlich ist das alles ein ziemlich guter Stress, das möchte ich nicht abschlagen. Aber trotzdem sind diese ganzen Tage mit der Familie schon immer ziemlich anstrengend. Ich habe eine riesige Familie, und in unserer Familie ist es Tradition, dass wenn jemand Geburtstag feiert, auch wirklich alle immer kommen müssen. Und ich habe am 23. Dezember Geburtstag, was natürlich bedeutet, dass vier Tage lang hintereinander der pure Familienwahnsinn herrscht. Ich finde es auch überhaupt nicht gut, genau vor Weihnachten Geburtstag zu haben, weil ich immer ein ganzes Jahr lang warten muss, um wirklich große Sachen zu wünschen. Natürlich, es gibt noch Ostern und sowas. Aber da bekommt man ja nie irgendwas Großes. Und leider kann es sich meine Familie auch nicht leisten, immer mal zwischendurch was zu schenken.